Aus­gewan­dert, aus­ge­bür­gert


Wer vor dem NS-Terror ins Ausland flieht, wird von den Nazis meist umgehend ausgebürgert.


Reisepass von Bernhard Klaar mit nationalsozialistischem Stempel, Porträtfoto und Personenbeschreibung.  © Helene Klaar
© Helene Klaar
Nach dem „Anschluss“ erhalten die österreichischen Juden und Jüdinnen die deutsche Staatsbürgerschaft. Am Foto der Reisepass des Rechtsanwalts Bernhard Klaar, 1938.
Nach dem „Anschluss“ an Nazideutschland im März 1938 werden automatisch alle Österreicher:innen zu deutschen Staatsangehörigen. Nach und nach treten dann auch jene Gesetze aus dem Altreich in Kraft, auf die sich die Verfolgung von Minderheiten und Oppositionellen stützt.
Mann mit einem Koffer in der Hand, langem Mantel und Hut geht neben einer Frau, die ein Kind mit Haube und Jacke in einem Kinderwagen über die Straße schiebt. Im Hintergrund mehrere Personen hinter einem Zaun, davor ein Mann mit Schaffnerkappe und Anzug.  © ÖNB Bildarchiv
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Zehntausende ins Ausland geflüchtete Personen verlieren im Nationalsozialismus die Staatsbürgerschaft. Am Foto: Ankunft von jüdischen Flüchtlingen aus Deutschland in Southampton, die auf der St. Louis wochenlang unterwegs waren, um Zuflucht zu erhalten, 1939.

Ausbürgerungen im Nationalsozialismus

Das „Ausbürgerungsgesetz“ gilt in Österreich ab 1939. Damit droht allen Menschen, die das Staatsgebiet des Deutschen Reiches verlassen haben, der Entzug der Staatsbürgerschaft. Als Begründung wird die vorgebliche Verletzung einer „Treuepflicht“ gegen „Reich und Volk“ angeführt. Wann ein solches Vergehen vorliegt, entscheidet die Behörde mutwillig.[1] 

Anfangs trifft der Entzug der Staatsbürgerschaft vor allem Menschen, die den Nationalsozialismus öffentlich kritisiert haben. Sie werden nun als „Volksschädlinge“ demonstrativ ausgestoßen. Teilweise werden die Maßnahmen auch auf Familienangehörige ausgedehnt. Damit droht auch Ehepartner:innen und Kindern die Staatenlosigkeit.[2]

Zwischen August 1933 und April 1945 entziehen die Nazis über 39.000 Personen, die vor der Verfolgung ins Ausland geflohen sind, die Staatsbürgerschaft. Betroffen sind auch viele Prominente, so etwa der Literat Stefan Zweig, die Schauspielerin Helene Weigel oder der Kinderpsychologe Bruno Bettelheim. Sie alle werden nun staatenlos. Im Exil haben sie kein Wahlrecht, kein Recht auf Arbeit oder Gesundheitsversorgung.[3] Zum Teil werden sie mit Kriegsbeginn 1939 dennoch als „feindliche Ausländer“ interniert.

Menschen, mehrheitlich Frauen und Kinder, müssen Güterwaggons besteigen. © Wikimedia
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1941 beginnen die massenhaften Deportationen in die Konzentrationslager. Am Foto: Deportation von Jüdinnen und Juden aus dem Ghetto Siedlce in das Todeslager Treblinka, 1942.

Massenhafte Ausbürgerung und Deportation

Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 markiert einen Wendepunkt. Bisher haben sich die Nazis darauf konzentriert, die jüdische Bevölkerung auszuplündern und zu vertreiben. Nun beginnt der systematische Massenmord. Das hat auch rechtliche Folgen. Per Verordnung verlieren alle, die nach den Nürnberger Gesetzen als „jüdisch“ gelten, automatisch die Staatsbürgerschaft, sobald sie die Reichsgrenze überschreiten. Auf diese Weise werden alle in dem Moment ausgebürgert, in dem sie in Ghettos und Todeslager „im Osten“ deportiert werden. Ihr gesamter, innerhalb des Reiches verbliebener Besitz wird eingezogen. Zugleich wird Jüdinnen und Juden im Oktober 1941 die Ausreise generell verboten.[4]

[1] Ilse Reiter-Zatloukal, Staatsbürgerschafts- und Vermögensentzug bei „Emigration“ und Deportation, in: Florian Wenninger/Marie-Sophie Egyed (Hg.), Schaltstelle des Terrors. Geschichte und Personal der Zentralstelle für Jüdische Auswanderung Wien 1938-1943, Wien 2025, 152–169, hier 155.

[2] Hannelore Burger/Harald Wendelin, Staatsbürgerschaft und Vertreibung (= Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission 7), Wien/München 2004, 282.

[3] Burger/Wendelin, Staatsbürgerschaft, 268, 280–282.; Hannelore Burger, Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden. Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart, Wien/Köln/Graz 2014, 280.

[4] Reiter-Zatloukal, Ausgebürgert und ausgeraubt, Wien 2025, 159.