„Wilde Ari­sierun­gen“: Gewalt, Ent­eignung und Raub


Mit dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich beginnt im März 1938 ein beispielloser Raubzug gegen die jüdische Bevölkerung. Große und kleine Nazis eignen sich eigenmächtig Wohnungen, Geschäfte und Unternehmen an.



Eingang zu einem Geschäftslokal mit der Hausnummer 27, darüber die Aufschrift „Kommissarische Verwaltung“. © ÖNB Bildarchiv
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In den ersten Wochen nach dem „Anschluss“ enteignen etwa 25.000 „Kommissare“ jüdische Geschäftsleute in Wien.[1]
Eine Menschenmenge, einige tragen Hakenkreuz-Armbinden, treibt mindestens drei Juden vor sich her. Im Hintergrund Häuser und Bäume. © ÖNB Bildarchiv
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Alle, die sich eine Hakenkreuzbinde über den Arm streifen, können nach dem „Anschluss“ ungehindert Gewalt gegen die jüdische Bevölkerung ausüben. 


„Arisierung“ der Wohnungen

Nazis dringen in Wohnungen ein, vertreiben die jüdischen Bewohner:innen und rauben alles, was nicht niet- und nagelfest ist: Schmuck, Kleidung, Möbel oder Radios – selbst Puderdosen und Bettwäsche nehmen sie mit. Auch Autos werden „beschlagnahmt“. In die leeren Wohnungen ziehen Parteimitglieder und Günstlinge des NS-Regimes ein.[2] Die Betroffenen sind dieser Gewalt schutzlos ausgeliefert. Die Polizei greift nicht ein. Im Gegenteil: schon bald beteiligt sie sich aktiv an den Aktionen.[3]

Zimmer mit Bücherwand, darüber eine Reihe von gerahmten Bildern an der Wand und ein Kronleuchter. Davor ein Tisch mit gepolsterten Stühlen auf einem großen Teppich. Rechts im Eck eine Vase. © Wien Museum
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Auch das Palais Kranz der jüdischen Familie Stern fällt den Nazis in die Hände. Foto aufgenommen im Juni 1938.

Häufig sind lokale Aktivisten die treibende Kraft hinter „wilden Arisierungen“. Die Aktionen werden aber auch von der NSDAP und ihren Gliederungen, vor allem SA, mit Hilfe vorbereiteter Listen umgesetzt. Die Grenze zwischen spontanen Übergriffen und staatlich organisiertem Terror ist fließend.[4]

Tisch mit Stühlen im Vordergrund, links hinten an der Wand ein großer Aktenschrank, rechts daneben ein Durchgang in das Nebenzimmer, wo eine Person steht. © Bundesarchiv
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„Jüdische“ Betriebe und Geschäftslokale werden im Zuge der „wilden Arisierungen“ durchsucht und ausgeräumt.


„Arisierung“ der Betriebe

Auch jüdische Betriebe geraten ins Visier. Junge Nazis und SA-Männer dringen in Geschäfte ein und rauben Lebensmittel, Schuhe, Anzüge oder Stoffe. Unter diesen Umständen ziehen es viele jüdische Geschäftsleute vor, ihre Betriebe so schnell als möglich zu verkaufen. Selbsternannte „Kommissare“ nutzen die Gelegenheit zur billigen Übernahme: Sie zwingen die jüdischen Eigentümer:innen zur Veräußerung ihrer Betriebe zu Preisen, die oft nicht einmal 10 Prozent des tatsächlichen Werts betragen.[5]

Die meisten „Kommissare“ verstehen nichts von Betriebsführung. Zudem sind die meisten von ihnen korrupt. Ihr oberstes Ziel ist Selbstbereicherung.[6] Der nationalsozialistische Wirtschaftsminister Hermann Göring bezeichnet das Kommissarwesen in Österreich als „Versorgungssystem untüchtiger Parteigenossen“.[7] Aus seiner Sicht entsteht dem Regime durch das eigennützige Handeln der „Kommissare“ ein wirtschaftlicher Schaden. Um das zu verhindern, wird die Enteignung jüdischer Vermögenswerte bald zunehmend zentral gesteuert. Der Übergang zur planmäßigen „Arisierung“ [LINK Planmäßige Arisierung] markiert eine neue Phase der systematischen Entrechtung.[8]

[1] Fritz Weber, Die Arisierung in Österreich: Grundzüge, Akteure und Institutionen, in: Ulrike Felber et al. (Hg.), Ökonomie der Arisierung. Teil 1: Grundzüge, Akteure und Institutionen, Wien/München 2004, 40–165, hier 66.

[2] Regina Fritz, „Anschluss“: Pogrome, Raubzug und systematische antijüdische Staatspolitik 1938, in: xxx (Hg.), xxx, S. xx.

[3] Safrian/Witek, Dokumente, 2008, 38–39.

[4] Regina Fritz, „Anschluss“, 2025, xx.

[5] Weber, Arisierung, 2004, 65–80; Gerhard Botz, Nationalsozialismus in Wien. Machtübernahme, Herrschaftssicherung, Radikalisierung, Kriegsvorbereitung 1938–1939, Wien 2018, 313.

[6] Hans Witek, „Arisierungen“ in Wien. Aspekte nationalsozialistischer Enteignungspolitik 1938–1940, in: Emmerich Tálos et al. (Hg.), NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch, Wien 2000, 795–816, hier 802.

[7] Weber, Arisierung, 71.

[8] Regina Fritz, „Anschluss“, 2025, xx.